Schwäbische Zeitung vom 06.07.22:
Siebtes Ehinger Wirtschaftsforum beschäftigt sich mit der Energie

Von Tobias Götz.

Ehingen, 06.07.2022
Hochkarätig besetzt war am Dienstagabend das Podium beim siebten Ehinger Wirtschaftsforum. Und entsprechend hochkarätig war auch das Thema. Denn es ging um die Entwicklung der Energiepreise und die Versorgungssicherheit im Zuge des Krieges in der Ukraine.

Als Experten geladen waren Dirk Güsewell, Mitglied des Vorstands der EnBW und dort verantwortlich für die systemkritische Infrastruktur, Professor Stefan Ulreich von der Hochschule Biberach mit den Bereichen Energiehandel, Energiepolitik und Wirtschaftsinformatik und Professor Michael Gaßner, der früher im Vorstand der Energiewirtschaft war und jetzt unter anderem Geschäftsführer des gastgebenden Businessparks Ehingen Donau (BED) ist. Moderiert wurde die Veranstaltung von Petra Engstler-Karrasch, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ulm.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung brachte es Ehingens Oberbürgermeister Alexander Baumann auf den Punkt. „Dieses Thema betrifft uns alle. Ich bin aber auch leider der Überzeugung, dass diese Botschaft noch nicht bei allen angekommen ist. Die Produktion unserer Firmen wird davon dramatisch betroffen sein, auch wir als Kommune müssen hier Einsparungen vornehmen“, so der OB, der deutlich machte: „Auch im privaten Sektor werden die Menschen ihre Komfortzone verlassen müssen.“ Nachdem am 23. Juni die Alarmstufe des Notfallplans Gas in der Bundesrepublik ausgerufen wurde, ist nun die zweite von drei Krisenstufen erreicht. „Ich bin seit 24 Jahren im Energiegeschäft. Was ich seit Herbst vergangenen Jahres erlebe, hat es in dieser Form noch nie gegeben.

Es ist ein sehr ernstes Thema, das ich nicht dramatisieren, aber auch nicht schönreden möchte“, sagt Dirk Güsewell, der ganz klar betont: „Dass wir bald zurück zur Normalität gehen werden, ist ein Trugschluss. Es ist ein Marathon, den wir vor uns haben und darauf müssen wir uns einrichten“, so der EnBW-Experte.

Professor Ulreich aus Biberach war an diesem Abend der Mann der klaren und deutlichen Worte, der Mahner, der mit seinen Gedanken nicht hinterm Berg hielt. „Russland war uns immer ein verlässlicher Partner, auch während des Kalten Krieges. Jetzt ist es ein heißer Krieg und wir beziehen über 70 Prozent unserer Energie von einem Land. Dass so etwas blöd ausgehen kann, muss jedem klar sein“, sagt Ulreich, der es als großes Versäumnis sieht, dass Deutschland nicht schon vor Jahren die sogenannten LNG-Terminals (logistische Knotenpunkte für die Entladung von Flüssiggas von Tankern) gebaut hat. „Wir alle werden mit massiven Einschränkungen zu rechnen haben, vor allem im übernächsten Winter“, so Ulreich. Denn jetzt seien die Speicher zumindest zu 50 Prozent gefüllt. „Das wird im nächsten Sommer nicht der Fall sein.“

Für Professor Michael Gaßner, der viel mit Unternehmen zu tun hat, ist die Lage sehr unterschiedlich. „Das hängt immer vom Unternehmen ab und dessen Einkaufsstrategie in Sachen Energie. Bei manchen geht es gerade noch, andere stehen vor der Grenze zur Panik“, betont Gaßner, dem die durch die Energiepreise gestiegenen Marktpreise Sorgen machen.

Wie konkret es aktuell in Deutschland aussieht, beschreibt Dirk Güsewell. So brauche Deutschland rund 1000 Terawattstunden Gas pro Jahr, 55 Prozent davon komme aus Russland. „Mit großen Anstrengungen könnten wir vielleicht die Hälfte des von Russland gelieferten Gases kompensieren. Und zwar, wenn wir Gas sparen und Gas zur Stromerzeugung vermeiden. Das ist das Szenario“, so Güsewell, der sehr auf einen milden Winter hofft. Da die Pipeline Nord Stream 1 derzeit nur mit 40 Prozent bedient werde, sieht Güsewell dem 11. Juli mit Bauchschmerzen entgegen. „Dann wird Nord Stream 1 für eine zehntägige Wartung abgeschaltet. Die Frage, die sich stellt, ist, was am 21. Juli passiert? Kommt die Leitung wieder? Wie verhält sich Russland im Winter? Und wie können wir Gas sparen?“

Gas zu sparen, so Güsewell, sei nicht einfach, weil niemand „unnötig Gas rausbläst“. Auch das Notfallszenario der zuständigen Bundesnetzagentur, so Güsewell, wird weh tun. „Vor allem die Einteilung in geschützte und ungeschützte Kunden ist ein extremes Dilemma. Die Bundesnetzagentur bereitet sich aktuell sehr intensiv darauf vor“, so Güsewell, der die aktuelle Energiekrise mit der Bankenkrise von 2009 vergleicht: „Auch hier müssen wir alles tun, um den Markt stabil zu halten. Aktuell hat sich der Gaspreis verachtfacht“, sagt der Experte der EnBW, der im Übrigen die Gasströme von Norden nach Süden als „beherrschbar“ bezeichnet.

Für Professor Ulreich ist es indes enorm wichtig, dass die großen Terminals schnellstmöglich gebaut werden. „Wir müssen in Zukunft weniger blauäugig bei der Energiebeschaffung agieren. Den Unternehmen kann ich nur raten, bei der Energie in Beschaffungstranchen zu denken.“

Auch für Güsewell geht der Blick in die Zukunft in Richtung Notfallplan. Von den 1000 Terawattstunden, so der Experte, würden je ein Drittel von der Industrie/Gewerbe, von den Haushalten und zur Stromerzeugung verwendet. „Um gemäß einem Notfallplan beispielsweise bei der Industrie das Gas abzuschalten, muss man auch an die praktischen Probleme denken. Denn an einer Gasleitung hängen oft verschiedene Verbrauchergruppen. Da ist das Abschalten einfach nicht möglich.“

Diese schwierige Aufgabe obliegt eben der Bundesnetzagentur. Und Professor Ulreich wird hier nochmals sehr deutlich: „Ich bin froh, wenn nicht der Staat die Versorgung der Industrie regelt, sondern der Markt. Das ist die fairste Lösung. Wer am meisten zahlen kann, ist der Lucky Winner.“

Der Businesspark in Ehingen, das betont Michael Gaßner, könne beispielsweise aktuell auf Gas verzichten. „Wir haben 100 000 Liter Öl im Tank. Das dürfte über den Winter reichen“, so Gaßner.

Wie sich die Gaspreise entwickeln könnten, davon zeichnete Professor Ulreich ein deutliches Bild: „Erdgas wird weltweit gehandelt. Der Preis wird durch die Nachfrage geprägt. Die Zeiten des billigen Erdgases sind vorbei. Wir müssen uns alle auf massive Preiserhöhungen einstellen. Die Zeiten billiger Energie sind vorbei.“ Sollte das Preisniveau des Gases so bleiben, zeichnet Professor Michael Gaßner ein sehr düsteres Bild: „Dann würde es eine Deindustriealisierung Deutschlands geben. Das hält keiner auf Dauer aus und sämtliche Neuinvestitionen würden auf der anderen Seite des Atlantiks stattfinden.“

Das sieht auch Professor Ulreich so, der, zwei Jahre in die Zukunft geblickt, sagt: „Auch dann werden wir nichts daraus gelernt haben. Sobald die Krise vorbei ist, ist alles vergessen. Ich wünsche mir, dass man pragmatischer und weniger ideologisch mit der Energieversorgung umgeht.“

Nicht ganz so skeptisch beim Blick nach vorne ist Güsewell. „Meine Hoffnung ist, dass grüne Gase und Wasserstoff einen Schub bekommen. Wasserstoff ist für mich der große Gamechanger. Klar ist auch, dass wir bald sehr schwierige Tarifrunden bekommen werden, es wird eine Verteilungsdiskussion geben.“

Und Professor Michael Gaßner hofft, dass bei der Energiepolitik nicht nur der Umwelt-, sondern auch der Wirtschaftsgedanke eine Rolle spiele. Alt-Landrat Heinz Seiffert, früher im Aufsichtsrat der EnBW, war unter den Gästen und merkte an, dass die Politik sich durchaus den Ausstieg aus der Kernkraft überlegen müsse.