Boehringer Ingelheim-Boss deutlich: „Wir müssen bereit sein, etwas dafür zu investieren“ | Schwäbische, 18.10.2025
Boehringer Ingelheim-Boss deutlich: „Wir müssen bereit sein, etwas dafür zu investieren“
Wie beeinflusst uns die KI? Was passiert mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland? Und was können wir tun? Darüber hat Thomas Reith, Biberacher Standortleiter von Boehringer gesprochen.
Es ist mucksmäuschenstill an diesem Abend hoch oben im Businesspark Ehingen Donau, als Referent Thomas Reith, Boehringer-Boss in Biberach, beginnt zu sprechen. Denn gleich zu Beginn seines Vortrages über die „Erfolgsfaktoren der Zukunft“ legt Reith den Finger in eine der größten deutschen Wunden unserer Zeit. „Wir sollten mal wieder den Fokus darauf legen, was wir selbst tun können. Wir schauen immer ängstlich nach Osten und nach Westen, anstelle uns darauf zu besinnen, was wir gut können“, sagt Reith, der wie Ehingens OB Alexander Baumann aus Schemmerhofen kommt und damit fast ein Heimspiel im Ehinger Businesspark hat.
Und was Reith und das Unternehmen Boehringer Ingelheim ziemlich gut können, ist Pharmazie. Mehr als 54.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Unternehmen in Familienbesitz weltweit, allein 6,2 Milliarden Euro steckt das Pharmaunternehmen in Forschung und Entwicklung – bei rund 26,8 Milliarden Euro Umsatzerlösen. „Die Zukunft ist für uns als Pharmaunternehmen enorm wichtig, weil wir jeden Tag große Wetten auf die Zukunft abschließen müssen“, betont Reith. Denn bis ein Medikament beim Patient ist, dauert es nicht nur zwischen elf und 15 Jahre. „Die Forschung und Entwicklung eines Medikamentes kostet uns zwischen einer und 1,5 Milliarden Euro. Und wir müssen jetzt schon wissen, wie der Markt bei der Zulassung im Jahr 2040 sein wird und wonach er verlangt. Wir müssen also wissen, was die Krankheiten 2040 sind und aufs richtige Pferd setzen“, so Reith.
Deswegen ist für Boehringer Ingelheim eine Innovationsplanung unerlässlich. Das Unternehmen, für das allein am Biberacher Standort rund 7700 Menschen arbeiten (3500 davon in Forschung und Entwicklung), hat jüngst ein neues Krebsmedikament für Lungenkrebs zugelassen, ebenso ein Medikament gegen Lungenfibrose. „In Biberach schlägt das Forschungs- und Entwicklungsherz von Boehringer weltweit“, sagt Reith, der seit 30 Jahren im Unternehmen ist und den Standort an der Riß seit 2024 führt.
Um erfolgreich zu sein, müsse das Unternehmen ergebnisorientiert zusammenarbeiten, Ergebnisse liefern, Innovationen und Veränderungen vorantreiben, zügig entscheiden und handeln sowie offen und konstruktiv miteinander kommunizieren. Dabei stellt Reith, der ein Diplom in Wirtschaftsinformatik hat, die Innovationsfähigkeit nach ganz oben. „Das ist das wichtigste Element – auch für Deutschland“, sagt Reith. Denn das Umfeld, das unser Land biete, habe laut Reith alles, um erfolgreich sein zu können. „Wir haben Firmen, Hochschulen, Universitäten, Institute wie Fraunhofer oder Max Plank. Innovation darf nicht im Keller stattfinden, sondern echte Innovation geht nur über Vernetzung“, so Reith.
Ein großes, deutsches Problem, sei aber das Thema Risikokapital für Start-ups und vor allem für Scale-ups, sprich junge Unternehmen, die im Begriff sind, schnell zu wachsen. „Zwei bis vier Millionen Euro in junge Unternehmen zu stecken, geht in Deutschland. Sobald aber 40 oder 50 Millionen nötig sind, wandern die jungen Firmen in die USA oder nach China aus, wo das Geld weitaus lockerer sitzt. Wir Deutschen sind eine Girokonto-Nation“, sagt Reith, der fordert: „Abbau von Innovationshürden, mehr laufen lassen.“
Dass natürlich der Bürokratieabbau ebenso ein Faktor ist, sei logisch. „Wir als Unternehmen müssen aber der Politik schon konkrete Beispiele liefern. Es wird hier nicht den Big-Bang geben. Wir müssen den Elefanten langsam abknabbern“, sagt der Pharma-Boss, der 1966 in Göppingen geboren wurde. Dazu fordert er aber auch einen Kulturwechsel in den Behörden, aber auch in den Firmen. „Viele Firmen, die sich über Bürokratie beschweren, sollten mal in den Spiegel gucken. Wir brauchen auch in den Firmen wieder mehr Möglichmacher.“
Deswegen müsse auch die Wertschöpfung wieder in den Vordergrund gerückt werden. „Es kann nicht sein, dass ein Mitarbeiter eine Tablette macht und ihn 27 Mitarbeiter dabei kontrollieren“, macht Reith ein Beispiel dafür, das oft stellvertretend für „Wasserköpfe“ in Unternehmen stehe. „Wir müssen wieder mehr laufen lassen.“
Auch die KI könne eine nützliche Hilfe der Gegenwart und Zukunft sein. Gerade Reith, der aus der IT kommt, weiß das und will das auch forcieren. „KI ist kein nice-to-have mehr. Es ist ein Muss für alle Unternehmen. Wir müssen die Berührungsängste mit KI abbauen“, fordert der Standortleiter, der aber klarmacht: „Wir müssen hier auch Datenschutz zusammen mit Datennutzung diskutieren. Wir müssen auch die Datennutzung als gesellschaftliche Aufgabe verstehen. Gerade in der Pharmaforschung sind Daten enorm wichtig. Diese müssen aber anonym bleiben.“
In Sachen Mitarbeiter fordert der Boehringer-Boss nicht nur eine Offenheit für KI, sondern auch einen gewissen „Hunger auf Wissen“. „Unser Kapital sind die Menschen, die etwas im Kopf haben. Nie war Lernen einfacher als heute, wir müssen alle unsere kindliche Neugier bewahren und dies als Kulturauftrag verstehen“, sagt Reith und betont: „Und wir müssen uns auch überlegen, welches Wissen bereits weggeGpTed ist.“ Damit spielt er auf die KI „ChatGPT“ an, die in Sekundenschnelle Wissen liefert.



Fotos: Emmelauer
Wille zur Veränderung
„Unterm Strich geht es um den Willen zur Veränderung. Wenn wir es wollen, können wir es auch. Wir müssen aber bereits sein, etwas dafür zu investieren.“ Dazu gehöre es auch, Dinge zu ändern, die über Jahre hervorragend funktioniert haben. „Auch wir müssen uns jeden Tag selbst herausfordern und verändern“, sagt Reith, der übrigens von Homeoffice nur bedingt was hält. „Das ist ein wichtiges Instrument für eine gewisse Flexibilität, welches man aber nicht pauschal einsetzen sollte. Echte Innovation entsteht nur, wenn man Menschen zusammenbringt. Ein Raum, Kaffee und ein Whiteboard und viel Disput“, betont Reith, der einen bemerkenswerten Schlusssatz sagt: „Wir müssen maximal ausschöpfen, was wir gut gemacht haben und dann in die Veränderung gehen.