„Einhorn“ Hoerr will die Pharmabranche revolutionieren

Mit Ingmar Hoerr hat ein sogenanntes Einhorn am Donnerstagabend beim sechsten Wirtschaftsforum im Businesspark Ehingen Donau (BED) referiert. Hoerr hat es vom Start-Up mit der Firma „CureVac“ zu einem rund 2,5 Milliarden Dollar schweren Unternehmen gebracht, das die Pharmabranche revolutionieren möchte. Mittlerweile ist der 50-Jährige Vorsitzender des Aufsichtsrates.

„Solche Gründer suchen wir“, sagte Ehingens Oberbürgermeister Alexander Baumann im Businesspark und deutete dabei auf Gastredner Ingmar Hoerr, der ein „echtes Einhorn“ ist. Denn in der Start-up-Branche werden Unternehmensgründer als Einhörner (Unicorn) bezeichnet, deren Firmenbewertung von Investoren mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet wird. Diese muss jedoch erfolgt sein, bevor das Unternehmen an die Börse geht oder einen „Exit“ durchläuft (das heißt, wenn Kapitalgeber sich aus dem Unternehmen zurückziehen, weil Anteile an andere Firmen verkauft, beziehungsweise weil die ursprünglichen Gründer ihre Anteile zurückkaufen). Hoerrs Firma „CureVac“ wird mit 2,5 Milliarden Euro bewertet und liegt damit deutlich über der Einhorn-Grenze.

Revolution für das Leben

Nicht weniger als eine „Revolution für das Leben“ kündigt die Firma, die von Hoerr im Jahr 2000 in Tübingen gegründet wurde, in einem ihrer Leitsprüche an und geht es nach dem Gründer, ist „CureVac“ in der Tat drauf und dran, den medizinischen und pharmazeutischen Markt zu revolutionieren – neudeutsch soll hier eine Disruption laut Hoerr stattfinden – ähnlich wie es Apple im Mobilfunk gemacht hat.

„Alles begann mit einer unerwarteten Entdeckung. CureVacs Gründer, Ingmar Hoerr, fand als Doktorand heraus, dass das instabile Biomolekül mRNA bei direkter Verabreichung ins Gewebe als therapeutischer Impf- oder Wirkstoff eingesetzt werden kann, wenn es zuvor optimiert wird. Dabei sind keine komplizierten Formulierungen oder molekularen Modifizierungen nötig. Mit Hilfe dieser radikalen Entdeckung können Wissenschaftler das Potenzial des mRNA-Moleküls, welches in jedem Menschen vorkommt, voll nutzen und damit die biomedizinische Forschung nachhaltig verändern. CureVac hat als Pionier das Potenzial der mRNA zur Behandlung von Krankheiten und zur Herstellung von Impfstoffen entdeckt. CureVac ist das weltweit erste Unternehmen, das mRNA erfolgreich für medizinische Zwecke einsetzt – wo andere einst Hindernisse sahen, entdeckten wir Chancen“, heißt es über den Kern der Firma.

Disruptive Technologien

Gründer Ingmar Hoerr sagt allgemein zur aktuellen industriellen Entwicklung: „Es verändert sich was. Wir können es nicht einordnen. Manche Innovationen stabilisieren sich, andere wiederum sorgen für disruptive Technologien, die alles verändern. Wir telefonieren heute anders als früher, wir denken an autonomes Fahren. Nun ist eben auch Disruption im Pharmabereich dran“, sagt Hoerr, der zwischen den „Game Changern“ und der „inkrementellen Disruption“ unterscheidet. Denn während eine Disruption mit „Game Changern“ quasi aus dem Nichts kommt und eine Branche völlig verändert, sei eine „inkrementelle Disruption“ beispielsweise eine neue Antriebstechnik im Auto. „Es ist ein notwendiger Weg für Europa, vor allem für uns Deutsche, disruptiv zu sein. Wir müssen unsere Firmen damit so stark machen, dass uns keiner aufkaufen kann. Dazu brauchen wir auch die Frauen. Es sind viel zu wenige Frauen im Innovationsbereich tätig, damit verschwenden wir so viel Potenzial. Deswegen setze ich mich hier auch besonders für die Fördrung von Frauen ein“, macht Hoerr deutlich, der im European Innovation Council sitzt, das im kommenden Jahr zwei Milliarden Euro zur Verfügung stellt, auch, um Innovationen in den Ländern zu halten.

Eine neue Gründerzeit
„Wir haben eine neue Gründerzeit. Manche denken aber, dass Gründen ein Lifestyle geworden ist. Man hängt an coolen Orten ab mit coolen Leuten. Das ist aber falsch. Gründen bedeutet zuerst ein dreckiges Leben, ein Leben unter Druck, das zu Beginn meist in irgendwelchen Garagen stattfindet“, macht Hoerr deutlich, der selbst in einem alten Chemielabor an der Uni angefangen hat. „Als Doktorand hatte ich damals eine gewisse Sinnkrise. Mit zwölf Doktoranden sind wir dann auf ein Segelboot und haben den Sinn des Lebens gesucht. Wir sind raus aus unserer Komfortzone und das ist beim Gründen wichtig“, sagt Hoerr, der dann „CureVac“ gegründet hat und aus dem alten Chemielabor ein Biolabor gemacht hat. „Alles war improvisiert“, sagt Hoerr, der dann 2003 in den Tübinger Technologiepark gezogen ist – aufgrund der damaligen Krise übrigens jahrelang als einziger Mieter. „Dann haben wir einen Reinraum gebaut – mit Hilfe der Stadt – und die mRNA produziert. Nichts Geringeres als eine medizinische Revolution ist so auch das Ziel von „CureVac“. „Kinder, die heute geboren werden, haben die Chance, 130 Jahre alt zu werden. Das liegt an der Hygiene, der Bildung, der Ernährung und eben der Medizin“, sagt Hoerr, der allerdings den Forschungs- und Entwicklungsprozess eines Medikaments in Frage stellt. „Eine Impfstoffentwicklung dauert rund 15 Jahre und kostet in der Entwicklung von 500 bis einer Milliarde Euro. Und die Pharmaindustrie muss das Geld ja wieder reinbekommen. Das alles muss beschleunigt werden, die Kosten müssen runter, sonst platzen unsere Gesundheitssysteme“, betont Hoerr, der mit seiner Firma eine datengetriebene, personalisierte Medizin anstrebt – eine Revolution also. Unterstützt wird er von SAP-Gründer und Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp ebenso wie von der Bill und Melinda Gates-Stiftung. Kooperationen hat Hoerr unter anderem mit dem Pharma-Riesen Boehringer Ingelheim und dem US-Militär. „Vereinfacht gesagt wollen wir mit der mRNA mit dem Körper sprechen, ihm Informationen liefern. Wir wollen das Immunsystem trainieren, beispielsweise gegen Krebs vorzugehen.“

Gegenwind vom Professor

Etwas Gegenwind im Businesspark hat Ingmar Hoerr nach dem Vortrag von Professor Matthias Schwab von der Uni Tübingen bekommen. „Es geht hier auch um Arzneimittelsicherheit. Gewisse Verfahren der Sicherheit und Kontrolle können wir nicht aufgeben“, sagt Schwab, der darauf pochte, dass man mit solchen Innovationen ehrlich umgehen müsse: „Klinische Studien müssen gemacht werden. Auch Ihre Therapie kann Nebenwirkungen haben.“ Hoerr freute sich sogar über den Gegenwind der „Etablierten“ und sagte: „Man schafft nur dann Disruption, wenn jemand wie Sie kommt, und versucht, einem die Thesen um die Ohren zu hauen. Wir wollen verrückter als die Pharma sein.“

(SZ, 29.11.2019 – Tobias Götz)


Die Businesspark-Gastgeber OB Alexander Baumann (links) und Professor Michael Gaßner (rechts) mit dem Referenten Ingmar Hoerr (Zweiter von links) und Professor Matthias Schwab von der Uni Tübingen. (Foto: SZ- götz)